Angela Merkel: Die Kanzlerin für alle? [Gebundene Ausgabe]
Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet. Auf kaum jemanden trifft diese Metapher besser zu als auf Angela Merkel. Zumindest wenn man Dirk Kurbjuweit folgt, der – vielleicht etwas vorschnell angesichts der aktuellen Turbulenzen – eine brillante Bilanz ihrer ersten Amtszeit als deutsche Kanzlerin vorgelegt hat. Trotz persönlicher Sympathien zeichnet der Spiegel-Journalist ein Bild des Scheiterns. Das Porträt einer Ambitionierten, die sich angesichts der Déjà-vu-Erlebnisse aus ihrer Jugendzeit im „Hort von Umstandskrämern und Antriebslosen“ (DDR) als Radikalreformerin gerierte und zur „großen Verbalreformerin“ mutierte. Natürlich ist auch Kurbjuweit klar, dass in einer großen Koalition ein Maximum an Merkel nicht möglich ist. Noch dazu mit einem Partner, der alles tut, um sie schlecht aussehen zu lassen. Doch das Bündnis habe als Reformregierung nicht einmal sein Optimum erreicht. Unter dem Eindruck eines permanenten unterschwelligen Wahlkampfs habe sich Merkel im Laufe der Legislatur zur Sozialdemokratin gewandelt. Aus Angst vor dem Linksparteiführer Lafontaine und der SPD. Und nicht zuletzt vor der Stimmung in der Bevölkerung, die nach Schröder der so genannten „Reformen“ zu ihren Lasten überdrüssig war und sich nach den alten Sicherheiten zurücksehnte. Der Regierungsstil Merkels aus Sicht des Autors: sich bedeckt halten, Themen aufgreifen, die sich gerade anbieten und sie schleunigst wieder fallen zu lassen, wenn es schwierig wird. „So kann man durchkommen, aber so kann man keine große Kanzlerschaft begründen.“ Erschwerend hinzu kommt Merkels Verschlossenheit. „Ihre Kanzlerschaft war bislang eine große Verweigerung, sich über Worte erkennen zu geben.“ Merkel sei die „Königin der Hintergründe“, bleibe aber für die breite Öffentlichkeit blass. Womit Kurbjuweit auf die Diskrepanz zwischen ihrem öffentlichen und nicht-öffentlichen Bild anspielt, das er sich als Hauptstadtkorrespondent zuweilen machen konnte. Alles in allem also erstmals die „totale Inszenierung einer Kanzlerschaft“, die „glatt wirkt, vielfach geschmirgelt, poliert, lackiert, und zwar mit Mattlack lackiert. Kein Glanz“. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Erfahrungsgemäß werde ein Kanzler nämlich erst so richtig Kanzler in der zweiten Amtszeit. Sollte es dazu allerdings nicht reichen, befürchtet Kurbjuweit, dass Merkel allenfalls als Regierungschefin des Übergangs in die Geschichte eingehen wird. – Arnold Abstreiter
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